DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM

von Heinrich Böll
Theater Regensburg 2011


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Das Land, in dem der Wahnsinn tobt.
Johannes Zametzers "Katharina Blum" ist eine erschreckende, irrwitzige Parabel auf eine Gesellschaft, für die nichts Bedeutung hat-und ist großes Theater.
Vom ersten Augenblick an ist alles irgendwie anders, das Drama durchläuft schwindelerregende Höhen und abstoßende Tiefen. Was auf der Bühne losbricht, ist eine faszinierende Mischung aus Karnevalsabsurdität, Irrsinn, Medien-und Politsatire: Katharina Blum einfach zum Niederknien gut gespielt von Anna Dörnte wird des Wahnsinns fette Beute.
Johannes Zametzer arrangiert das Verhör wie einen irrwitzigen Traum, setzt den Journalisten der ZEITUNG Clownsnasen auf, lässt den Staatsanwalt im Narrenornat mit Schweinsmaske die Verhaftete beschnüffeln und betatschen, entrückt seine Figuren mit Faschingshütchen der Realität und vermeintlich jeglicher Ernsthaftigkeit. Ausgesprochen heiter wirkt die Atmosphäre.
Krasser Gegensatz sind die Übergriffe: jene Akte von Grenzüberschreitungen, Demütungen, sexueller Belästigung, von Machtmissbrauch und Gewalt, denen Katharina Blum hilflos ausgesetzt ist - und die Zuschauer mitten in all dieser aufgesetzten Faschingsgaudi eiskalt trefen: Beklemmende und ausweglose Momente, bevor Zametzer das Karussell blitzschnell weiterdreht.
Zametzers Konzept geht auf. Aus dem großen Narrenspiel schält sich die packende Tragödie heraus. Mit Spielfreude und grandioser Könnerschaft legt das hervorragende Ensemble diesen zwiespältigen Tanz auf das Parkett. Alle Darsteller (ausser Katharina) sind in mehreren Rollen zu erleben, schlüpfen fast übergangslos in eine neue Haut, nehmen problemlos Gegenpositionen zu ihren zuvor verkörperten Figuren ein und sorgen so für atemberaubendes Theater.
Und so wird "Katharina Blum" in Zametzers vom Premierenpublikum bejubelten, mitreißenden Inszenierung sehr heutig: als eine Art bedrückende Parabel auf eine Gesellschaft, die zum Nachdenken kaum innehält, die hektisch agiert, oft ohne Sinn und Verstand, für die nichts Bedeutung hat, die sich blenden lässt und Verantwortung ausblendet und die ihr Heil findet im hemmungslosen Feiern.
Susanne Wiedamann MZ

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Groteske Hatz auf die Ehre der Katharina Blum
Alles endet in noch so einem Höllenmarsch.
Noch einmal der Gesamteindruck einer stimmigen, reichlich heimtückischen Inszenierung. Regisseur Johannes Zametzer hat Bölls Erzählung zu einer Groteske um die vor Irrsinn starrenden Mechanismen der heutigen Medienwelt umgestaltet.
Zametzer durchbricht alle Zeitbezüge durch den konsequenten Blick auf ihren zeitlosen Kern: die Lust an der Ausgrenzung als Motor moralischer Selbstüberhöhung.
Diese wirklichkeitsverzerrenden Mechanismen sind - und das ist die Meisterleistung der Inszenierung - so absurd, das sich die tapfere Katharina einer zunehmend unübersichtlichen Karnevalsgesellschaft gegenübersieht, deren Mitglieder ständig aus einer Rolle in die andere fallen, Gestalten tauschen, Identitäten wechseln.
Das Rudelhatz ist streckenweise so enervierend ungerecht, dass das Publikum vor Wut nach Luft schnappt. In dieser überraschenden und frischen Böll-Adaption lernt man, daß man letztlich Vertrauen nur dem schenken sollte, was man mit eigenen Augen gesehen hat.
Bayr. Staatszeitung

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